Mit dem Referentenentwurf für das „Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ kommt das BMF der Forderung des BVerfG nach, den Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 rückwirkend verfassungskonform auszugestalten.
Die Entscheidung des BVerfG zur sog. steuerlichen Vollverzinsung sorgte im August 2021 für Aufsehen. Das BVerfG billigte grundsätzlich zwar den Mechanismus des § 233a AO, beanstandete jedoch den dabei nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO anzuwendenden festen Zinssatz i.H. von 0,5 Prozent je vollem Zinsmonat (6 Prozent p.a.). Das BVerfG stufte diesen Zinssatz als „evident realitätsfern“ und damit verfassungswidrig ein und rief den Gesetzgeber zur Schaffung einer mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 bis Ende Juli 2022 auf. Für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.02018 sprach das BVerfG dabei eine Fortgeltungsanordnung der bisherigen Rechtslage aus.
Mit dem am 22.02.2022 veröffentlichten Referentenentwurf schlägt das BMF für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 einen neuen Zinssatz i.H. von 0,15 Prozent pro Monat, damit 1,8 Prozent p.a., vor (§ 238 Abs. 1a AO-E). Dieser Zinssatz soll für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gleichermaßen gelten. Nach Auffassung des BMF im Referentenentwurf wird durch die vorgeschlagenen Rechtsänderungen die Verzinsung verfassungskonform reformiert. Der Referentenentwurf führt aus, dass sich die 1,8 Prozent p.a. am aktuellen Basiszinssatz nach § 247 BGB (- 0,88 Prozent p.a.), mit einem sachgerechten Zuschlag in Höhe von rund 2,7 Prozentpunkten, orientiere. Weiter bleibe der Zinssatz deutlich unterhalb des Zinssatzes für Verzugszinsen nach § 288 Absatz 1 Satz 2 BGB und bilde damit einen angemessenen Mittelwert zwischen Guthabenzinsen und Verzugszinsen. Zusätzlich wird ausgeführt, dass ein vollständig oder stufenweise flexibler Zinssatz deutlich schwieriger zu handhaben wäre und daher von einer flexiblen Regelung abgesehen wurde. Da der neue Zinssatz also als starrer Zinssatz geregelt werden soll, enthält der neue § 238 Absatz 1c AO-E die vom BVerfG für diesen Fall ausdrücklich geforderte Evaluierungsklausel. Danach soll die Angemessenheit des Zinssatzes unter Berücksichtigung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle drei Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume evaluiert werden, erstmals zum 01.01.2026.
Vor dem Hintergrund der rückwirkenden Neuregelung, bestätigt der Gesetzentwurf, dass dem Vertrauensschutz durch Anwendung des § 176 AO Rechnung getragen werden soll. So sind die Neuregelungen nach §§ 233a i.V.m. 238 AO grundsätzlich zwar in allen am Tag nach der Verkündung des Änderungsgesetzes anhängigen Verfahren anzuwenden, jedoch vorbehaltlich des § 176 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO. Bei der Festsetzung von Erstattungszinsen in Änderungsfällen (§ 233a Absatz 5 Satz 3 Halbsatz 2 AO) ist für die Minderung von Nachzahlungszinsen der Zinssatz maßgeblich, der bei der ursprünglichen Festsetzung der Nachzahlungszinsen zugrunde gelegt wurde.
In der Begründung äußert sich das BMF auch zur Frage der Ausweitung der BVerfG-Rechtsprechung und der geplanten gesetzlichen Neuregelung auf andere Verzinsungstatbestände der AO oder den Einzelsteuergesetzen sowie auf Säumniszuschläge nach § 240 AO. Allerdings solle diese Frage nicht in diesem Gesetz beantwortet werden und bedürfe noch eingehender Prüfung. Argumente gegen eine Ausweitung werden dabei bereits aufgeführt.
Weiter führt das BMF im Referentenentwurf aus, dass eine Ausnahme einzelner Steuern, insbesondere der Umsatzsteuer, aus dem Anwendungsbereich des § 233a AO nicht vorgesehen sei. Damit wird den unionsrechtlichen Vorgaben Rechnung getragen, die eine Verzinsungspflicht zumindest für Erstattungen von Umsatzsteuer vorsehen. Um dem Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer und dem Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung gerecht zu werden, sollen aber sowohl Erstattungs- als auch Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer weiterhin von § 233a AO erfasst bleiben.
Daneben enthält der Referentenwurf weitere kleinere Änderungen der AO. Insbesondere soll gesetzlich normiert werden, dass in Fällen von Zinsläufen mit unterschiedlichen maßgeblichen Zinssätzen, der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen ist (§ 238 Abs. 1b AO-E). Weiter soll in § 233a AO ein neuer Absatz 8 aufgenommen werden, der gesetzlich festlegt, dass Nachzahlungszinsen nicht zu erheben sind, soweit der Steuerpflichtige Leistungen auf eine später wirksam gewordene Steuerfestsetzung erbracht und die Finanzbehörde diese noch nicht fälligen Leistungen angenommen und die Leistung auf die festgesetzte und zu entrichtende Steuer angerechnet hat. Dies ist bislang in der AEAO zu § 233a AO unter Rn. 70.1. geregelt. Außerdem soll eine Verlängerung der Festsetzungsfrist für Zinsen nach § 239 Absatz 1 Satz 1 AO auf zwei Jahre erfolgen.
Nach derzeitiger Planung soll das Bundeskabinett am 30.03.2022 den Regierungsentwurf des Gesetzes auf den Weg bringen.