Ein Steuerbescheid darf, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, grundsätzlich nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine der Korrekturvorschriften der Abgabenordnung (AO) greift (§§ 172 ff. AO). Zusätzlich kann allerdings die Finanzbehörde Schreib- oder Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die bei Erlass des Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit – innerhalb der Festsetzungsfrist – berichtigen (§ 129 AO). Der BFH hat mit Urteil vom 08.12.2021 (Az. I R 47/18) entschieden, dass auch fehlende Angaben beim steuerlichen Einlagekonto eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 S. 1 AO sein können.
Streitig war, ob der Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 S. 3 KStG zu ändern ist. Die Klägerin hatte den Bestand des steuerlichen Einlagekontos in der entsprechenden Steuererklärung fehlerhaft erklärt, was unter Heranziehung des in Papierform eingereichten Jahresabschlusses erkennbar unrichtig war. Hierfür stellte das FG vor allem auf die Erläuterung der Kapitalrücklage im Jahresabschluss ab. Dass ein unvoreingenommener Dritter die Angabe des steuerlichen Einlagekontos mit EUR 0 als zutreffend ansehen könnte, war ausgeschlossen. Gleichwohl lehnte das FG München (Urteil vom 17.09.2018, Az. 7 K 2805/17) wie zuvor das Finanzamt eine Berichtigung nach § 129 AO und mit der Begründung ab, dass die richtige Höhe der erbrachten Einzahlungen in die Kapitalrücklage aus der Bilanz nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sei.
Auch wenn für § 129 S. 1 AO ein mechanisches Versehen erforderlich ist, das einem Schreib- oder Rechenfehler ähnelt, bedeutet dies nach Auffassung des BFH nicht, dass auch der zutreffende Wert ohne weitere Prüfungen erkennbar sein muss. Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreiche, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur tatsächlichen Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich seien, schließe eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 S. 1 AO nicht aus.
Zumindest in denjenigen Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Werts in der Steuererklärung beruht, sei § 129 S. 1 AO bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist (Anschluss an das BFH-Urteil vom 22.05.2019, Az. XI R 9/18, BStBl II 2020, 37). Entsprechendes müsse gelten, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit EUR 0 erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin in der elektronischen Steuererklärung lediglich Angaben zur Höhe des Endbestands des steuerlichen Einlagekontos zum Schluss des laufenden sowie zum Schluss des vorhergehenden Wirtschaftsjahrs gemacht hat. Zu weiteren Fragen, insbesondere zur Entwicklung des Einlagekontos, hat sie keine Angaben gemacht.
Im Hinblick auf eine mögliche Erkennbarkeit des Fehlers ergebe sich auch nichts anderes aus dem BFH-Urteil vom 27.05.2009 (Az. X R 47/08 – BStBl II 2009, 946). Die dortige Abgrenzung zu einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht, die eine Anwendung des § 129 AO ausschließen würde, bezog sich auf das Unterlassen der Heranziehung von Unterlagen, bei denen es (auch) um die Erkennbarkeit der Unrichtigkeit dem Grunde nach ging.
Der BFH hat das Urteil des FG München aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Nun muss das FG München im zweiten Rechtsgang die tatsächliche Höhe des steuerlichen Einlagekontos ermitteln.
Hinweise:
Diese Entscheidung ist umso wichtiger, als dass Veränderungen zum steuerlichen Einlagekonto nur in dem jeweiligen Jahr des Zu- oder Abgangs berücksichtigt werden können. Eine Korrektur bzw. Anpassung in einem späteren Wirtschaftsjahr ist ausgeschlossen. Es sollte daher geprüft werden, ob fehlerhafte Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 S. 3 KStG noch geändert werden können, sofern die Verjährungsfrist für diese Bescheide noch nicht abgelaufen ist:
Dafür ist zu klären, ob der fehlerhafte Endbestand des Eigenkapitalkontos auf unrichtige Zuführungen oder Minderungen des Feststellungsjahres zurückzuführen ist und ob die einzelnen Voraussetzungen des § 129 AO gegeben sind. Insoweit muss eine offenbare Unrichtigkeit vorliegen, die nicht aus einem Rechtsfehler, sondern aus einem versehentlichen Fehler (wie im Streitfall die Nichtangabe eines Wertes in der Steuererklärung) resultiert und der Fehler muss erkennbar sein, ggf. aus den mit eingereichten Unterlagen (wie im Streitfall der in Papierform eingereichte Jahresabschluss); hingegen ist nicht erforderlich, dass der zutreffende Wert ohne weitere Prüfungen erkennbar ist. Auch darf die Übernahme der Unrichtigkeit weder ein Rechtsirrtum des Finanzamtes sein noch auf einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht beruhen.
§ 173a AO, der zum 01.01.2017 in Kraft getreten ist und der die Rechtsgrundlage für die Korrektur von Schreib- oder Rechenfehlern darstellt, dürfte in diesen Fällen nicht einschlägig sein.